Himmelfahrtsworkshop Joachimthalsches Gymnasium in Templin
07.05.2013
Gelb und groß steht das alte Joachimsthalsche Gymnasium am Rand von Templin. Eine Schulanlage aus einem Guss. Hoch über dem Templiner See mit einem Haupthaus, das von zwei Gebäudeflügeln eingefasst wird, um welche sich jeweils weitere Häuser im gleichen Baustil gruppieren. Mehr ein Schul-Schloss als ein Schul-Gebäude. Eigentlich ist das alte Internat in weiten Teilen deutlich besser erhalten als manch anderes Projekt, das der VKF sich in den letzten Jahren vorgenommen hat. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie hier pubertierende Gymnasiasten fröhliche oder auch frustrierende Zeiten durchlebt haben.
Mit dem Eintreffen am ersten Tag hat der VKF sogleich seine nötigsten Werkzeuge auf das Gelände gebracht: Rechen, Heckenscheren, Schaufel und Spaten, schweres und leichtes Werkzeug – und einige Kästen Bier. Und schon vor dem Abendessen war die erste Terrasse von Moos befreit und das VKF-Banner gehisst. Angereist waren zwölf Abiturienten aus Salem und 40 Jugendliche zwischen sieben und 45 Jahren aus ganz Deutschland, die sich traditionell über Himmelfahrt daran machen, ein Kulturdenkmal im Osten Deutschlands vor dem Verfall zu retten.
Mit im Team von der ersten Einsatzstunde an: Hubert Völker, der seinerzeit Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums war und in den Arbeitspausen und beim Abendessen von der Schulzeit erzählt – kleine, sehr lebendige Zeitreisen in eine gloriose Vergangenheit. Zu Völkers Schulzeit hatte die 1607 in Joachimsthal gegründete Fürstenschule für begabte Knaben, schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Seit 1636 war sie in Berlin ansässig. Geführt mit einer ausgeprägt christlich-humanistischen Zielsetzung sollte das Gymnasium seine Zöglinge für das Studium heranbilden und sie zu fähigen Mitarbeitern im Staats- und Kirchendienst machen. Doch die Kaiserstadt Berlin entwickelte sich zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sprungartig zur Metropole, und die zunehmend beengten räumlichen ebenso wie die immer freizügigeren sittlichen Verhältnisse in der jungen Großstadt bewogen die Schulväter dazu, die Lehranstalt zu verlegen und ab 1912 in Templin fortzuführen. Nach dem Vorbild englischer Internate, aber mit modernstem pädagogischen Anspruch sollte hier die große Tradition des Joachimsthalschen Gymnasiums fortgesetzt werden. Moderner Unterricht, Sport auf den neuen Anlagen und umliegenden Gewässern und Wohnen im sogenannten Familienalumnat unter der Aufsicht von Oberlehrer, Referendar und Hausdame. „dic cur hic“, „sag, warum Du hier bist“, lautete der Leitspruch der Joachimsthaler; sie sollten sich ihrer Tradition und Herkunft im Angesicht ihrer künftigen Aufgaben und Rollen im Staat stets bewusst sein. Und diesen Anspruch sollten Gebäude und Schulanlage für alle eindrücklich widerspiegeln.
Zurück in der Jetztzeit wird die Atmosphäre von den Schwingungen des einstigen Geistes ebenso geprägt wie von den Überresten der wechselnden bildungsbehördlichen Nutzung während der DDR-Zeit und einem jahrzehntelangen Leerstand. Die schwermütig würdevolle Größe der Anlage und ihr trotz allem passabler Erhaltungszustand inspirieren sofort und spornen zu Höchstleistungen während des VKF-Wochenendes an. Kurzerhand wird die Aula leergeräumt und gründlich gesäubert. Abgeschnittene Pflanzenreste aus Garten und Park werden zu Blumenschmuck verarbeitet und mit gekonnter Lichtsetzung – die gleichermaßen Schönes erhellt wie Kaputtes verdunkelt – gelingt es, zum Samstag-Abend in der Aula Konzerthaus-Atmosphäre zu schaffen. Ein prächtiger Rahmen für die an diesem Abend hier erwarteten Gäste: Ein Quartett der Jungen Deutschen Philharmonie, die für alle VKFler und knapp über 150 Besucher aus Templin ein Konzert gaben mit Werken von Mozart, Blumenthaler, Strawinsky und Tschaikowsky .
Mit dem Einsatz für die Anlage und dem Konzert im Schulhaus war auch die Hoffnung verbunden, die Templiner dazu zu inspirieren, sich wieder mit der einmalig reichen Tradition auseinanderzusetzen, die da wie ein Märchenschloss an ihrem Stadtrand auf eine Wiedererweckung wartet. Je näher man dem Gebäude kommt, je mehr man von ihm sieht, umso mehr verfestigt sich der Gedanke, dass hier, zwei Autostunden von Berlin entfernt, wieder eine Schule entstehen müsste. Umgeben von einer herrlichen Landschaft aus Wäldern und Seen, eingebettet in eine ebenso lange wie pädagogisch richtungweisende Tradition ist dies kein Ort für ein weiteres Wellness-Hotel, für eine Fortbildungsstätte oder für eine versprengte Bundesbehörde. Nein! Eine Schule sollte hier sein, eine ganz besondere Schule, die ihren Schülern zu sagen vermag, warum sie hier sind und wohin sie einst gehen können. Mit etwas Glück und dem fortgesetzten Engagement des VKF ist diese Vorstellung nur eine kleine Zeitreise weit weg, diesmal in die Zukunft.
Constanze Kettler, Martin Stier