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Himmelfahrtsworkshop in Großkmehlen – Junge Geister in alten Mauern

25.05.2002

Junge Geister in alten Mauern

Mit Arbeitswut und Abenteuerlust will ein Verein den Verfall denkmalgeschützter Bauwerke in Ostdeutschland aufhalten

Von Christina Engel

Der imposante alte Kasten mit den drei Zwiebeltürmen ist nicht ganz leicht zu finden. Wer von der Straße aus Richtung des Städtchens Ortrand kommt und den kleinen grünen Wegweiser übersieht, fährt erst einmal vorbei am Schloss in Großkmehlen, nördlich von Dresden. Die Renaissance-Anlage, einst Heimstatt der Rittersleute von Lüttichau, versteckt sich nämlich hinter einer Front majestätisch in den Himmel ragender Kastanienbäume. In Reih und Glied wie Soldaten stehen sie da, als wollten sie den denkmalgeschützten Bau bewachen oder vor bösen Blicken schützen. Die Sonne wärmt schon kräftig an diesem Maivormittag; der Boden ist trocken. Mit jedem Schritt auf dem Weg zum Schloss wirbelt feiner Sand hoch, der die Schuhe im Nu ganz grau aussehen lässt. Die Geräusche, die über die Schlossmauer auf den Vorplatz dringen, klingen alles andere als idyllisch. Es hämmert und scheppert, klappert und kracht. Die guten Geister, die sich da auf dem 600 Jahre alten Anwesen zu schaffen machen, sind Mitglieder des Vereins zur Kunst- und Kulturförderung in den neuen Ländern, kurz VKF. Aus ganz Deutschland sind 30 junge Leute angereist – Schüler, Studenten und Berufsanfänger, um der Brandenburgischen Schlösser GmbH, die die Anlage nach Jahrzehnten des Verfalls nun saniert, unter die Arme zu greifen. Vier Tage lang wollen die VKF-Mitglieder auf Schloss Großkmehlen Handwerker spielen, denn der Verein hat sich die Rettung denkmalgeschützter Gebäude in Ostdeutschland zur Aufgabe gemacht. „Die meisten Leute halten uns für ein bisschen verrückt“, sagt Eltje Habben, die gerade dabei ist, mit anderen Vereinsmitgliedern die Wege im Schlosspark zu erneuern. Äste werden aufgesammelt, Unkraut wird gezupft und Gestrüpp entfernt. Der Weg um den fast ausgetrockneten Fichtenteich soll wieder als solcher erkennbar und am Nachmittag mit Kies befestigt werden. „Viele glauben, wir bekämen Geld für die Arbeit, die wir hier leisten“, sagt Eltje. „Aber das ist Quatsch. Wir haben einfach Spaß daran und wollen etwas in Bewegung setzen.“ Der Workshop auf Schloss Großkmehlen ist nicht der erste Einsatz für die 23-Jährige die in Berlin Betriebswirtschaftslehre studiert. Vor fünf Jahren wurde sie Mitglied im Verein, seit zwei Jahren gehört sie auch zum Vorstand. „Die Bevölkerung reagiert meist ein bisschen entgeistert, wenn wir mit 30 Leuten in einen Ort einfallen“, erzählt sie. Der Kontakt zur Dorfgemeinschaft werde vom VKF daher auch bewusst gesucht. In Großkmehlen wird am Abend Fußball gegen die Dorfmannschaft gespielt. „Wenn wir ein paar Tage vor Ort waren, sind die Bewohner meist überrascht, wie effektiv wir gearbeitet haben“, sagt Eltje. In diesem Jahr feiert der VKF sein zehnjähriges Bestehen. 1992 von sieben Freunden gegründet, zählt er inzwischen 650 Mitglieder. „Der Verein ist ein erweiterter Freundeskreis“, sagt Caspar Schmitz-Morkramer, der wie Eltje zum Vorstand gehört. „Durch Mund-zu-Mund-Propaganda kamen schnell immer mehr Leute zusammen.“ Caspar ist Architekt und kommt aus Köln. Der 28-Jährige hat heute eine staubige Aufgabe übernommen. Im Jägerhaus, einem kleinen Gebäude gegenüber vom Schloss, soll die ursprüngliche Raumstruktur wieder hergestellt werden. Das heißt konkret: Nachträglich eingebaute Wände müssen raus. Frank Augustin, der als freischaffender Architekt von der Brandenburgischen Schlösser GmbH mit der Sanierung der Schlossanlage beauftragt wurde und den VKFlern an diesem Tag erklärend zur Seite steht, vermutet, dass das Jägerhaus einst als Winterresidenz genutzt wurde. „Diese Riesenkiste von Schloss haben die doch im 16. Jahrhundert gar nicht erst versucht, warm zu kriegen“, sagt Augustin. Die Räume im Jägerhaus seinen später – wahrscheinlich im vergangenen Jahrhundert – durch zusätzliche Wände geteilt worden. Mit Atemschutzmasken vor Mund und Nase, Spitzhacke und Hammer in den Händen reißen Caspar und andere nun heraus, was zuviel ist. Es sei relativ schwierig, Objekte zu finden, bei denen der Verein richtig mit anpacken könne, erzählt Caspar, dessen Haare von den herumfliegenden Staub- und Schmutzpartikeln schon ganz grau sind. Für viel Arbeiten fehle das handwerkliche Know-How. „Großkmehlen ist ziemlich ideal für uns“, weiß er, denn er hat schon einige VKF-Einsätze hinter sich. Dass man während der Arbeit schnell eine gewisse Besessenheit entwickelt, hat Caspar häufig beobachtet. „Das steckt dann auch die anderen an und hilft, das Pensum zu bewältigen“, sagt er. “ Mich spornt auch der Gedanke an, dass ein Objekt ganz verfallen könnte, wenn wir uns nicht drum kümmern oder wenigstens den Startschuss setzen.“ Natürlich bestehen die VKF-Workshops nicht nur aus Arbeit. Ausflüge in die Umgebung gehören ebenso zum Programm wie Konzerte, Lesungen oder Grillabende. „Man muss die Mitglieder schon ein wenig liebkosen, schließlich sollen sie ja ein ganzes Wochenende durcharbeiten“, sagt Caspar und lacht. „Die Mischung aus Spaß, Abenteuer und Arbeit muss einfach stimmen.“ Auf der Wiese zwischen Park und Schloss haben einige Vereinsmitglieder inzwischen eine Mittagstafel eingedeckt. Ein Rapsfeld in der Ferne leuchtet zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch, die das Gelände begrenzen. Auf dem Tisch blüht der Raps in schlichten Biergläsern. Es gibt Nudeln, Salat, Brot und Käse und als Nachtisch einen Vortrag von Architekt Frank Augustin über die Geschichte des Schlosses, die geplanten Umbauten und das Problem, geeignete Nutzer zu finden. Nach dem Essen löst sich die Tafel auf – die einen marschieren in Richtung Park, die andern zum Jägerhaus. Antje Urban, Stephan Barth und Maren Jacobi melden sich für den Küchendienst. Die drei sind Schüler des Internats St. Afra in Meißen und wurden vom VKF zum Workshop nach Großkmehlen eingeladen. Eine willkommene Abwechslung für das Trio. „Wir wollten mal raus, mal körperlich arbeiten“, sagt die 16-Jährige Antje, während sie die Bestecke einsammelt. Am Vormittag haben die Schüler im Park mitgeholfen. „Die Atmosphäre ist wirklich toll hier, auch die Einstellung zur Arbeit“, findet Maren, 15 Jahre. „Außerdem stört es niemanden, dass wir die jüngsten sind“, sagt sie lächelnd und verschwindet mit einem Stapel Teller in einem flachen Neubau gegenüber vom Schloss, in dem eine Küche und sanitäre Anlagen untergebracht sind. Die Arbeiten im Schlosspark schreiten zügig voran. Der Rundweg um den Teich wurde von wucherndem Grün befreit und begradigt. Gelblich schimmernder Kies wird nun verstreut und mit Harken gleichmäßig verteilt. Ein VKFler ist mit einem Gerät unterwegs, das wie ein Rasenmäher aussieht. Damit wird der Kies festgestampft. Antje, Stephan und Maren haben nach dem Abwasch nicht geruht und können die Schlossgärtner nun mit einem Turm Eierpfannkuchen überraschen. Dazu gibt es Kaffee, Saft oder Bier und jede Menge Mücken gratis. Kaffeepause auch vor dem Jägerhaus. Caspar und Co. haben sich eine Stärkung verdient. Pensum geschafft? „Na klar“, sagt Caspar und beißt in eine Pfannkuchenrolle. „Die Wände sind jetzt alle weg.“ Und lachend fügt er hinzu: „Aber es gibt eigentlich auch nichts, was wir noch nicht geschafft hätten.“