Europäischer Himmelfahrtsworkshop in Biertan, Rumänien
12.05.2012
…und was Disko Partisani damit zu tun hat
Let’s go east! Der VKF wagte sich zum traditionellen Himmelfahrts-Workshop 2012 was – nämlich über 1400 Kilometer weiter Richtung Süd-Osten vor. Es ging ins rumänische Biertan, nach Siebenbürgen oder auch Birthälm, wie es die kleine aber immer noch lebendige deutsche Minderheit, die Siebenbürger-Sachsen, es nennen. Vier Tage arbeiteten 40 VKFler auf der bekannten und seit 1994 unter UNESCO-Schutz stehenden Kirchenburg. Zum ersten Mal wurde der VFK also im europäischen Ausland tätig (von einem Workshop 2006 im polnischen Sosny/Charlottenhof, unweit der deutschen Grenze, abgesehen). Es war ein Versuch für spätere Vorhaben. Soll der VKF in Ost-Europa aktiv werden? Passen wir dort hin, will man uns dort haben? Wie sind die finanziellen Mittel aufzubringen? Die Idee besteht bereits seit mehreren Jahren im VKF, und wurde mit immer größer und breiter werdender Unterstützung diskutiert. Jetzt haben wir es einfach mal gemacht, die Spannung war groß: Was würde uns erwarten? Wie sind Sprachhürde und kulturelle Unterschiede zu meistern? Wir waren alle sehr aufgeregt …
Von Deutschland bedarf es eine Tagreise, bis man Birthälm erreicht. Wieso hatten wir uns ausgerechnet diesen Ort ausgeguckt? Das Dorf liegt malerisch, als seien die Uhren stehen geblieben. Birthälm ist umgeben von ehemaligen Weinbergen und satter, grüner Wiesen, kleinen Lehmhäusern mit roten Dachziegeln, an fast jedes grenzt ein eigener Gemüsegarten mit Hühner-, Kaninchen- oder gar Schweinstall. Noch immer fahren Pferdekutschen über die Sandwege und Kopfsteinpflasterstraßen. Wer die „Märchen der Gebrüder Grimm“ verfilmen möchte, fände hier die perfekte Kulisse.
Doch die wunderschöne Szenerie und die beeindruckenden Wehrkirche allein war es nicht alleine, der den Ausschlag für Birthälm gab. Helene Grimm, die maßgeblich mit Cornelia Nissle, Jan Engelhardt und Alexander Knigge an den Vorbereitungen beteiligt war, und die Region im Jahr zuvor bereist und erkundet hatte: „Der VKF versteht sich seit nunmehr 20 Jahren als Brückenbauer zwischen West und Ost. Die teilweise noch tief schlummernden Kulturlandschaften in Osteuropa – vor allem in den ländlichen Gebieten – interessieren und begeistern uns. Birthälm soll der Anfang sein unsere Aktivitäten auch über die Grenzen Deutschlands hinaus zu entwickeln.“
Auf der befestigten Anlage aus dem 15. Jahrhundert legten wir eine weitreichende Drainage rund um den mittleren Burgwall an, befreiten das Mauerwerk der inneren Wallanlage von unzähligen wilden Sträuchern und Wurzeln, die die alten Steinlagen zu sprengen drohten. Wir legten Wege und Treppen frei und führten mehrere archäologische Ausgrabungen und Messungen vor, die späteren Bauvorhaben an der Wehrkirche, die im Herbst diesen Jahres beginnen sollen, als Grundlage dienen werden.
Kulturelle Schwierigkeiten und sprachliche Hürden waren schnell überwunden. Die Verständigung erfolgte auf Englisch und Deutsch, das in der Region weit verbreitet ist. Uns zur Seite stand ein großartiges Orga-Team, dessen einer Teil uns einerseits fachlich anleitete, darunter der Architekt Liviu, der Archäologe Marian und die Biologin Suzana. Für Hilfe am Bau stand Küster Karl mit seinem Traktor parat. Werkzeug hatten wir mit einem uns großzügig zur Verfügung gestellten Bully der Preußischen Genossenschaft des Johanniterordens selbst aus Deutschland angekarrt. Unsere Köchin Matilda, eine resolute Frau von knapp 1,45 Meter Körpergröße versorgte uns mit drei kräftigen Mahlzeiten am Tag, kochte vor allem Speck, Wurst, Kohl- und Gemüsesuppen nach alter Sitte. Ein Vergnügen!
Der bedeutende und wohl einzige auch im Ausland bekannte deutsche Autor aus Siebenbürgen, Eginald Schlattner, kam zu einer exklusiven Lesung und Diskussion über die Situation der stolzen aber immer weniger werdenden Siebenbürger-Sachsen, die sich auch nach Jahrhunderten im Ausland, nicht als Rumänen, sondern als Deutsche fühlen und Sprache, Kultur, Habitus, und Bildungsprogramm nach alter Sitte pflegen und leben. Doch die Sorge geht um, dass auf Grund der Abwanderung die Kultur zu wenig Teilnehmer findet, die sie weiterleben lassen.
Am Abend feierten wir gemeinsam, wir lernten siebenbürgische Volkstänze kennen, spielten im Gegenzug mit dem Dance-Klassiker „Disko Partisani“ des Frankfurter DJ Shantel auf und bekamen echten, selbstgebrannten Birthälmer Pflaumenschnaps kredenzt, der die gute Stimmung auf die Spitze trieb.
Organisatorisch leitete Dana, eine ehemalige Ingenieurin und seit der Wende als selbständige Managerin arbeitende Hermannstädterin, unseren Aufenthalt. Sie führte uns auch durch die historischen Zentren von Schäßburg (SighiÈ™oara) und Hermannstadt (Sibiu). Die beeindruckenden Altstädte wurden aufwendig gut saniert und zeigen, welche Wertschätzung der Kultur und Tradition in Rumänien inzwischen entgegengebracht wird. Zahlreiche europäische Stiftungen, u.a. The Mihai Eminescu Trust, Europa Nostra oder die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung haben sich für den Erhalt der historisch einzigartigen und weitreichenden Baudenkmäler mit Erfolg stark gemacht, ebenso Behutsamkeit und Liebe in der Bevölkerung vor Ort erweckt und gefördert – häufig mit Erfolg. „Auch wenn es für den VKF einen erheblich höheren finanziellen Aufwand bedeutet sich außerhalb Deutschlands zu engagieren, hat der Birthälm-Workshop gezeigt, dass die VKFler bereit sind selber einen höheren finanziellen Beitrag zu leisten. Zudem erhoffen wir uns zusätzliche Unterstützung aus der Privatwirtschaft und von Stiftungen, die sich mit unseren Projekten identifizieren können“, sagt Alexander Louis Meßner, der VKF-Vorsitzende.
Am Sonntag, dem Tag unsere Abreise nach Sibiu, Herrmanstadt, wurde in der Kirche von Birthälm nur für uns eine Andacht auf Deutsch gehalten. Die Kirche wird nur noch selten für Gottesdienste genutzt, da die Gemeinde zu klein geworden ist. Dass das erhabene Kirchengemäuer nun durch unseren Besuch auch wieder mit Leben und Gottesehrfurcht gefüllt wurde, dankte der Pastor mit Hoffnung und sichtlicher Ergriffenheit. Zum Abschluss entließ er jeden von uns mit einem persönlichem Segen und einem biblischen Spruch auf den Heimweg nach Hause. Als wir die Kirche verließen, schien die Sonne. Es war ein guter Workshop.
Verena Schulemann